Westerwelle`s Hartz IV

Text: Cornelia Kerber, 16. Februar 2010, Süddeutsche Zeitung, Jetzt Redaktion

 

Mir fehlt jedwedes Verständnis der Polemik um Herrn Westerwelles Äußerung betreffend des Urteils des Bundesgerichtshofes in Bezug auf die Hartz IV Bezüge.

Der Mann hat doch recht!

Kein Zweifel, die Berechnungsgrundlage der Hartz IV Zahlungen muss überdacht und überarbeitet werden. Einer Berechnung gleich dem Grundsatz „denn sie wissen nicht was sie tun“ sollte keiner ausgesetzt werden.

Ich bin weder politisch besonders ambitioniert noch fühle ich mich als Denunziant der Bevölkerung wenn ich bekenne, dass ich als selbstversorgender Bürger und Steuerzahler bitte gerne nicht auch noch geohrfeigt werde möchte indem jene, die keiner geregelten Arbeit nachgehen, staatlich finanziert besser gestellt werden würden als ich.
Denn dann meine Herrn und Damen Debattierer, würde ich sofort und unumwunden meine Stellung kündigen und mich dem Hartz IV Dasein widmen.
Rente dann gerne ab 70 oder arbeiten bis zum Ableben, auch gut.

Doch welchen Anreiz sollte morgendliches Aufstehen bieten, welchen Ansporn sich dem Schmutz, Lärm, der Belastung oder Stress auszusetzen, dem Mobbing? Weshalb als gutes Beispiel der nächsten Generation vorleben, suggerieren dass Arbeit sich lohnt, eine Ausbildung erstrebenswert ist, das Lernen in der Schule Sinn macht?

Nun, jene die gerne arbeiten möchten doch keine Möglichkeit finden, die suchen und sich bemühen, sollte man unterstützen – keine Frage. Jedem von uns kann dieses Schicksal ereilen, keiner ist gefeit. Ich denke, dass man unterscheiden kann zwischen wahrlich Arbeitssuchenden und solchen Menschen ohne nachweislichen Einsatz.

Es ist richtig, dass bei der Berechnungsgrundlage der Hartz IV Bezüge beispielsweise kein Spielraum für Kinder, deren soziale Bedürfnisse wie das sportliche Miteinander in einem Verein, für musisch interessierte Kinder eine Musikschule oder gar der Bildung bleibt.
Weshalb scheint dies ein unlösbares Problem zu sein?
Bildungsgutscheine waren im Gespräch. Ein guter Ansatz wie ich meine, doch wo bleibt die Realisierung? Die Politik wird ihrem Ruf gerecht……viele Anhaltspunkte, noch mehr Anregungen, endlose Diskussionen und fehlender Tat.
Jedem Kind einen kostenlosen Grippen- und/oder Kindergartenplatz als Ganztagsbetreuungsmodell bis zur Einschulung.
Ab dem Schulalter einen Bildungsgutschein pro Kind, pro Jahr. Hier wäre den Heranwachsenden möglich, ihre Neigungen, Vorlieben, Stärken zu suchen und zu verwirklichen. Ob für Fußball, Ballett, Musikstunden, Nachhilfe, Lerntherapien, Klassenausflüge…..jedes Kind unabhängig der finanziellen Möglichkeiten der Eltern könnte sich verwirklichen.
Zusätzlich eine jährlich Einmalzahlung für Klassenausflüge, Konfirmationen, Kommunionen etc. Durch das Modell „Bildungsgutscheine“ wäre ein Missbrauch ausgeschlossen, fruchtlose Diskussionen, ob die Eltern das Geld der Kinder womöglich zur z.B. Alkoholfinanzierungen oder sich selbst nutzen, wären überflüssig.

Nehmt die Millionen der Steuerflüchtlinge, macht eure Versprechen zur besseren Bildungsmöglichkeit und Gleichstellung der Kinder jedweden Alters und Herkunft wahr und macht aus jeder Schule in jedem noch so kleinen Dorf eine Ganztagsschule die nicht nur eine Bildungseinrichtung darstellt, sondern gleichfalls als Hausaufgabenbetreuung fungiert.

Damit wären alle Familien begünstigt.
Dient eine Ganztagsbetreuung auch berufstätigen Eltern denen schlicht und ergreifend die Zeit oder der Nerv zum Lernen mit den Kindern fehlt.
Oder Großfamilien die nicht jedem Kind gerecht werden können und sich schuldig der Nachlässigkeit fühlen.
Familien mit einem Kind denen Sprössling oft die Erfahrung eines sozialen Miteinanders fehlt.
Überlastende Alleinerziehende die versuchen allem alleine gerecht zu werden.
Oder Eltern die selbst keine ausreichende Bildung erfahren haben und nicht helfen können um ihre Kinder schulisch zu unterstützen.

Nein, es braucht hierfür keine neuen Speisesäle, nehmt die Aula im Winter und den Pausenhof im Sommer.
Keiner erwartet eine Mensa die sich aus dem Nichts erhebt. Es braucht keiner Wartezeit, keine Umbauten welche sich wieder über Jahre verzögern würden.
Wo ein Wille ist – ist auch ein Weg!

Als Nebeneffekt entstünden neue Arbeitsplätze, deren Beschäftigte dann auch noch Sozialabgaben leisten könnten.

Kein entwürdigendes Schlangestehen an Suppenküchen für Kinder und damit verbundene outen „ich bin arm“.
Sondern eine Ganztagsbetreuung mit einem für sie bereitliegenden Pausenbrot zum Schulbeginn am Morgen mit einem Becher Kakao und einer gemeinsamen warmen Mahlzeit zum Mittag ergänzt wären optimale Voraussetzungen für eine Grundversorgung.
Nicht nur der Ernährung, auch in Betreuung, Schulbildung und sozialem Miteinander.
Sicher wären auch weniger Jugendliche gefährdet in ein Leben abzurutschen, welches diesen Kreis nur schließt.

Gleichfalls würde dieses Ganztagsschulmodell endlich die Klassifizierung unserer Kinder abschaffen. Jahrzehnte der fruchtlosen „Bemühungen“ erübrigen.
Kindergarten – Grundschule – Gesamtschule bis zur 10ten Klasse für alle und wer dann noch mag, freiwillig eine Oberstufe von Klasse 11-13 als Vorbereitung eines Studiums.
Kein Ausgrenzen von ausländischen Mitbürgern oder Migranten, keine Hauptschulen mit Abgänger ohne Chancen…alle Kinder sind gleich. Diesen Grundsatz, verankert im Grundgesetz sollte endlich einen Weg finden und bereits bei den Kleinsten unserer Mitbürger zum Tragen kommen. Denn sie – sie sind unsere Zukunft.

© Cornelia Kerber