„Im Jahre 1998 fertigt Günter Brus eine kleine Zahl an Arbeiten auf Leinwand an, die eine große Ausnahme im Oeuvre des Künstlers bleiben. Malerischer als sonst, bleibt er inhaltlich seinen charakteristischen Darstellungsmodi verpflichtet. Das schemenhafte Brustbild einer Figur, wie es seit seiner Aktion „Selbstbemalung“ (1965) regelmäßig in seinem Werk auftaucht, wird durch gezielte Eingriffe und Verschiebungen verunklärt. Die Darstellung wird mit einem Satz bzw. einem Aphorismus, der inhaltlich zunächst einmal nichts mit der Darstellung zu tun haben scheint, konfrontiert: „Jede Tat ist eine Sache und das Licht schaut zu“.
Die rätselhafte persona, von der man versucht ist sie als Selbstbildnis des Künstlers zu lesen, scheint durch ein einziges Sinnesorgang konstituiert, das zugleich alle anderen zu ersetzen scheint. Eine Augenschleife umwickelt das Angesicht und die einzelnen Augen nehmen den angestammten Platz von Mund, Nase und Ohren ein. Was Brus mit dieser unheimlich anmutenden Gesichtsverschiebung erwirkt, ist eine Parabel über das Primat des Sehens. Auch wenn das Paul Klee-Zitat durch seinen inflationären Gebrauch mittlerweile abgenutzt und ausgelutscht ist, so trifft es bei diesem Bild von Brus doch den Kern der symbolischen Aussage „Kunst gibt nicht das Sichtbare wider, sondern macht sichtbar“. Die Möbius-ähnliche Augenschleife repräsentiert diese umfassende Wahrnehmung und Visualisieren abseits konventioneller Wirklichkeitsdarstellungen.
Pestalozzi hat schon festgestellt, dass das Leben eine Sache der Tat ist, es ist ein TatSache. Es geht als nicht nur um eine wie auch immer geartete Handlung, die durch das beobachtende Licht nicht unbemerkt bleibt, sondern um das Leben selbst. Die groteske Figur ist von einer schwarzbraunen Dunkelheit umgeben, wurde aber nicht aus dieser heraus entwickelt sondern ausgespart, bleibt nahezu unangetastet. Der italienische Philosoph Giorgio Gamben hat geschrieben: „Zeitgenössisch ist derjenige, de seinen Blick fest auf seine Zeit richtet um nicht deren Glanz, sondern deren Finsternis wahrzunehmen.“ Günter Brus hat seinen Blick mit allen Sinnesorganen auf die Abgründe und Dunkelheiten seiner jeweiligen Zeit gerichtet. „Jede Tat ist eine Sache und das Licht schaut zu.“
vernissage 350, Dezember 2020/Jänner 2021
Galerie Kunst & Handel
Bürgergasse 5
8010 Graz
+43 316 810098
Öffnungszeiten: Di.-Fr. 11:00 – 18:00 Uhr, Sa. 10:00 – 13:00 Uhr
Foto: (c) Günter Brus, „Jede Tat ist eine Sache“, 1998, Mischtechnik auf Leinwand 93×71 cm
Foto von: Sommer-art-austria-Kunstsmesse im MQW