Zeitgegenstände – Wolfgang Rihm, Karlsruhe, 18.03.2012 – 10.06.2012

Karlsruhe: Städtische Galerie

mit Werken von  Antonin Artaud, Georg Baselitz, Per Kirkeby, Kurt Kocher­­scheidt, Markus Lüpertz, Jonathan Meese, Arnulf Rainer, rosalie, Artur Stoll und Adolf Wölfli.
Die Exponate – insgesamt werden mehr als 140 Gemälde, Aquarelle, Zeich­­nun­­gen, Druck­­gra­­fi­ken, Plastiken und Fotogra­­fien gezeigt

»Zeitgegenstände« – Wolfgang Rihm

Ausstel­­lung anlässlich der 21. Europäi­schen Kulturtage 2012 »Musik baut Europa«


18. März bis 10. Juni 2012

Im Mittel­­punkt der Ausstel­­lung stehen bildende Künstler, die für das Werk des 1952 in Karlsruhe geborenen und hier lebenden Kompo­­nis­ten Wolfgang Rihm eine heraus­ra­­gen­de Rolle spielen. Verbin­­den­­des Element ist – neben der persön­li­chen Freun­d­­schaft mit Einzelnen – eine ästhe­ti­sche Haltung, die das subjek­ti­ve Ausdrucks­­be­dürf­nis ins Zentrum des künst­le­ri­­schen Schaffens stellt. Direkten Nieder­­schlag in seinen Kompo­­si­tio­­nen finden die Ideen des Franzosen Antonin Artaud und des Schweizers Adolf Wölfli, beide promi­nen­te Grenz­gän­ger zwischen den Künsten. 1973, in den Anfängen seiner kompo­­si­to­ri­­schen Arbeit, lernte Rihm den öster­rei­chi­­schen Maler Kurt Kocher­­scheidt kennen. Dessen offene, radikale Art des Zeichnens sprach ihn unmit­tel­­bar an. Wichtig wurden auch junge Künstler, die seit den 1970er Jahren an der Karlsruher Kunst­­a­ka­­de­mie lehrten und zu den bedeu­tends­ten Vertretern der deutschen Malerei der 1980er Jahre werden sollten: Dazu zählen Markus Lüpertz, Georg Baselitz sowie der Däne Per Kirkeby. In jüngster Zeit schufen Jonathan Meese und rosalie Bühnen­bil­der zu Werken Wolfgang Rihms. Auch diese Arbeiten werden in der Ausstel­­lung präsen­tiert.

„Vom einen springen Zeichen ins andere“: Mit diesen Worten hat Wolfgang Rihm einmal selbst den Dialog und die komplexen Verbin­­dun­­gen zwischen seiner Musik und Werken der bildenden Kunst charak­te­ri­­siert. Für seine Arbeit als Komponist ist die Inspi­ra­tion durch Malerei, Zeichnung und Bildhau­e­rei – ebenso wie vielfäl­ti­ge Anregungen durch litera­ri­­sche Quellen – von Anfang an und bis heute von grund­le­­gen­­der Bedeutung. Sein Interesse gilt einer Vielzahl unter­­schie­d­­lichs­ter künst­le­ri­­scher Positionen, unter denen für diese Präsen­ta­tion gemeinsam mit Wolfgang Rihm eine konzen­trierte Auswahl getroffen wurde. So ergab sich eine Gruppe von neun Künstlern und einer Künstlerin: Antonin Artaud, Georg Baselitz, Per Kirkeby, Kurt Kocher­­scheidt, Markus Lüpertz, Jonathan Meese, Arnulf Rainer, rosalie, Artur Stoll und Adolf Wölfli. Die Exponate – insgesamt werden mehr als 140 Gemälde, Aquarelle, Zeich­­nun­­gen, Druck­­gra­­fi­ken, Plastiken und Fotogra­­fien gezeigt – lassen sich in drei Themenschwer­­punkte unter­tei­len: Der erste Bereich ist Antonin Artaud und Adolf Wölfli gewidmet, ein weiterer Komplex stellt Bühnen­bil­der vor, die rosalie und Jonathan Meese für Kompo­­si­tio­­nen Rihms konzi­pier­ten, und der dritte, weitaus umfang­reichs­te Teil der Ausstel­­lung ermöglicht eine facet­ten­rei­che Begegnung mit maleri­­schen Positionen seit den 1970er Jahren, die Rihms musika­­li­­sches Denken in beson­de­rer Weise geprägt haben.

Bei der Mehrzahl der hier vorge­­stell­ten Künstler handelt es sich um Zeitge­nos­­sen Rihms, doch zählen mit Artaud (1896-1948) und Wölfli (1864-1930) auch zwei bedeu­ten­de Außen­sei­ter des frühen 20. Jahrhun­­derts zu den wegwei­­sen­­den Impuls­­ge­­bern. Die visio­nären Theater­texte und ausdrucks­­star­ken Zeich­­nun­­gen des Schrift­s­tel­­lers, Regisseurs und Schau­­spie­­lers Artaud haben Rihm bereits in den 1970er Jahren ebenso faszi­niert wie die unerschöpf­li­che Ideenwelt des Art Brut-Künstlers Wölfli, der ein gewaltiges zeich­­ne­ri­­sches, dichte­ri­­sches und musika­­li­­sches Werk hinter­las­­sen hat. Beide inspi­rier­ten Rihm zu zahlrei­chen Musik­stücken.

Werden Artaud, Wölfli und die Bühnen­bild­­ge­­stal­tun­­gen von Meese und rosalie im Forum des Museums präsen­tiert, so ist die gesamte Ausstel­­lungs­flä­che im Erdge­­schoss jenen künst­le­ri­­schen Richtungen vorbe­hal­ten, die sich seit den 1970er Jahren entwi­­ckel­ten und zu Rihms Methoden des Kompo­­nie­rens enge Korre­s­pon­­den­­zen aufweisen. Den Anfang markiert hier die freun­d­­schaft­­li­che Verbin­dung zwischen Wolfgang Rihm und dem Künstler Kurt Kocher­­scheidt (1943-1992), die sich 1973 im Morat-Institut für Kunst und Kunst­­wis­­sen­­schaft in Freibur­g/Br. kennen lernten. Der gleicher­ma­ßen kraft­vol­len wie elemen­ta­ren Malerei des Öster­rei­chers habe er, so Rihms eigene Worte, „vom Grundklang bis zum Oberflä­chen­ge­räusch viel abgelauscht“. Die Trans­­for­­mie­rung visueller Erfah­run­­gen in Klang, die aus der bildlichen in die hörbare Welt übertra­­ge­­nen Vorstel­­lun­­gen prägen Rihms musika­­li­­sches Denken, seine ganz eigene Weise des Kompo­­nie­rens seither entschei­­dend mit: „Mich fasziniert der Gedanke“, so schrieb er an anderer Stelle, „Musik als Materie in die Hand nehmen zu können. Nicht als Instru­­men­ta­­list an irgen­d­ei­­ner Mechanik, sondern wie der Maler seine Farbe.“

Klang besitzt für Rihm durchaus Körper­lich­keit, ist etwas Greif- und Model­­lier­­ba­res, das sich mit dem Material der Malerei direkt verglei­chen lässt. Entspre­chend verwendet er nicht nur musika­­li­­sche Begriffe für die Beschrei­­bung von Malerei, sondern bevorzugt umgekehrt auch ein dem Bereich der bildenden Kunst entlehn­tes Vokabular zur Charak­te­ri­­sie­rung seiner eigenen Musik.

Begriffe wie Farbkörper, Pasto­si­tä­ten, Grundie­rung, Dichte­­grade, Klanghiebe, Schich­tun­­gen oder Überma­­lun­­gen sind für ihn Metaphern, die unmit­tel­­bar auf Analogien zwischen Bild- und Klangwelt, auf Paral­le­len im Arbeitspro­­zess des Malens und des Kompo­­nie­rens verweisen. Dabei zählt der Begriff der Übermalung – angeregt von den Bildern Arnulf Rainers (geb. 1929) und anderer Künstler – zu den für Rihms Schaffen weitrei­chends­ten Vorstel­­lun­­gen. Zahlreiche Werkfol­gen sind seither entstanden, die der Komponist durch Fortschrei­­bung, Überar­­bei­tung und Erwei­te­rung eines bereits existie­ren­­den Musik­stückes in jeweils neue, eigen­stän­dige Fassungen verwan­­delte – analog zum prozess­haf­ten Vorgang des Malaktes in der zeitge­nös­si­schen Kunst und zu bildkünst­le­ri­­schen Strategien, bei denen das Wechsel­­spiel zwischen Verbor­­ge­­nem und Gezeigtem eine signi­­fi­­kante Rolle spielt.

Entschei­­dende Anregungen vermit­tel­ten außerdem drei heute inter­na­tio­nal bekannte Künstler, die für einige Jahre an der tradi­ti­­ons­rei­chen Kunst­­a­ka­­de­­mie in Rihms Heimat­­stadt lehrten: Markus Lüpertz (geb. 1941) kam 1976 nach Karlsruhe, Georg Baselitz (geb. 1938) und Per Kirkeby (geb. 1938), mit dem Rihm bald eine enge Freun­d­­schaft verband, folgten wenig später. Sie alle hatten entschei­­den­­den Anteil an der trium­­pha­len „Wieder­­ent­­de­­ckung“ expres­­si­­ver
Malerei am Übergang zu den 1980er Jahren, als die längst für tot erklärte Malkunst in den Focus großer, Aufsehen erregender Ausstel­­lun­­gen rückte und die Karls­ru­her Akademie der Bildenden Künste dank des erfol­g­rei­chen Trios erneut zur viel beachteten „Malerei-Hochburg“ avancierte.

Zur Ausstel­­lung erscheint ein reich bebil­­der­ter Katalog mit Beiträgen von Georg Baselitz, Brigitte Baumstark, Heinz Fenrich, Siegfried Gohr, Achim Heiden­reich, Per Kirkeby, Markus Lüpertz, Jonathan Meese, Claudia Pohl und rosalie. Er ist an der Museums­­kasse zum Preis von 15 Euro erhältlich.

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Städtische Galerie

Lichthof 10
Lorenz­­­­straße 27
76135 Karlsruhe

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